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Politik  Ex-BND-Agent: Moskaus Spione spielen in anderer Liga

Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin
Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin
Foto: Michael Kuenne / picture alliance / ZUMAPRESS.com
Gerhard Conrad erklärt, wie sehr wir im Fadenkreuz fremder Geheimdienste stehen – und warum deutsche Agenten im Nachteil sind.

Berlin. Gerhard Conrad war früher ein ranghoher Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND. Im Interview erklärt der 69-Jährige, warum es ihn nicht wundert, dass im Zusammenhang mit aktuellen Spionagefällen immer wieder die AfD auftaucht. Conrad nennt außerdem Gründe, warum die deutschen Geheimdienste gegenüber den Agenten Chinas und Russlands im Nachteil sind.

Die Spionagefälle in Deutschland scheinen sich zu häufen. Überrascht Sie das?

Gerhard Conrad: Nein. Die Bedrohungslage besteht seit mehr als zehn Jahren. Die Innendienste und auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND haben in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, dass sie zu den aktuellen Vorkommnissen vergleichbare Verdachtsfälle beobachten. Die Dienste haben schon lange die Versuche von Staaten wie Russland und China erkannt, mit nachrichtendienstlichen Mitteln bei uns aufzuklären, zu manipulieren und ihre Ziele durchzusetzen.

Hat die Politik diese Warnung verschlafen?

Ich denke schon. Die Dienste und ihre Präsidenten haben versucht, die Politik für die Bedrohung zu sensibilisieren. Aber eingefahrene, für opportun gehaltene Sichtweisen und Interessenlagen ändern sich häufig nicht, bis es eben knallt.

Welche Konsequenzen müssen gezogen werden?

Die Geheimdienste müssen in der Lage sein, Aufklärung und Abwehrarbeit in Zeiten deutlich erhöhter und vielfältiger Sicherheitsrisiken und Gefährdungslagen effizient zu leisten.

Können die deutschen Dienste personell, technisch und rechtlich mit Russland und China in einer Liga spielen?

Nein, das können sie allein schon angesichts der Größenordnungen nicht. Die Russen und Chinesen haben ein Vielfaches an Personal. Das betrifft auch die finanziellen und zum Teil auch die technischen Mittel. Zudem handeln die russischen und chinesischen Geheimdienste in einem ganz anderen Rechtsrahmen, wenn es für sie überhaupt einen gibt. Insofern spielen von den westlichen Diensten allenfalls die USA in einer Liga mit Russland und China. Die haben ebenfalls Zehntausende Geheimdienstmitarbeiter. Der BND hat 6500 Mitarbeiter und das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa 4200 Mitarbeiter.

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Wieso ist das so ein Nachteil?

Die Arbeit von Nachrichtendiensten ist sehr personalintensiv. Sie arbeiten entweder mit menschlichen Quellen, die erst einmal gefunden, dann geworben, geführt, beauftragt und unter Wahrung operativer Geheimhaltung abgeschöpft werden müssen. Das gelieferte Material muss dann auch ausgewertet werden. Auf eine Quelle kommt also viel Personal aufseiten des Geheimdienstes.

Oder?

Oder man wirft den „Staubsauger“ an, bekommt seine Informationen also aus abgefangener technischer Kommunikation. Dabei landet im Staubsaugerbeutel trotz technischer Vorselektion ein Haufen unbrauchbares Material, das sortiert, aufbereitet, ausgewertet und in relevante Berichterstattung an Regierung und Behörden umgewandelt werden muss. Bei dieser technischen Aufarbeitung und inhaltlichen Analyse beginnt dann erst die wirkliche Arbeit – und zwar wieder mit vielen Leuten.

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Wo liegen die rechtlichen Grenzen?

Die Rahmenbedingungen für die deutschen Dienste sind rechtlich sehr strikt und ambitioniert. Aber erlauben sie die operativen Möglichkeiten, die wir brauchen? Selbst für die Aufklärung von Kommunikation zwischen Ausländern im Ausland gelten für den BND mittlerweile sehr strenge Regeln und Prozeduren. Wir müssen uns grundsätzlich fragen, ob wir mit unseren westlichen Partnerdiensten – Frankreich, Großbritannien, USA – in Aufklärung und Resilienz mithalten können.

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Wie lautet die Antwort?

Wahrscheinlich können wir das nicht. Die Geheimdienste in Deutschland sind für Friedenszeiten konzipiert. Sie sind aufgestellt und mandatiert für Zeiten eher geringer Bedrohung, kaum jedoch für eskalierende Polykrisen. Die Dienste könnten viel, aber sie dürfen vieles nicht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Warnhinweise, die im Ergebnis zu polizeilichen Zugriffen führen, gehen offenbar sehr häufig auf befreundete Dienste zurück. Das war wohl auch so bei den beiden in Bayern festgenommenen mutmaßlichen Saboteuren, die mit russischen Diensten in Kontakt waren. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen man denkt: Das hätten wir eigentlich auch rauskriegen müssen. Hier muss geprüft werden, inwieweit es die rechtlichen Auflagen waren, die das verhinderten, oder zu überwindende Defizite in operativen Kapazitäten.

Es gibt auch interne Probleme: In Berlin steht ein Ex-BND-Mitarbeiter vor Gericht, weil er Staatsgeheimnisse an Russland verraten haben soll.

Das ist ein schwerwiegender Fall, der – inzwischen behobene – Lücken und Versäumnisse in der Eigensicherung des BND erkennen ließ, aber wenigstens zeitlich eng begrenzt werden konnte. Vermutlich handelt es sich um einen Selbstanbieter, der auf Russland zugegangen ist. Jeder Auslandsnachrichtendienst strebt nach einer solchen Quelle, die gut platziert ist und aus einer Notlage heraus oder aus ideologischen Gründen ansprechbar ist. Des einen Freud ist des anderen Leid. Hier war die Freude auf russischer Seite, wenngleich nur für kurze Zeit und mit dem bitteren Beigeschmack, dass es erfolgreiche westliche Aufklärung der eigenen Dienste war, die bereits kurzfristig zum Ende der Operation führte.

Wen nehmen russische Geheimdienste hierzulande außerdem ins Visier?

Unter Menschen mit einem direkten oder auch indirekten biografischen Bezug zu Russland gibt es natürliche Anknüpfungspunkte. Aus der Community stammen auch die beiden schon erwähnten festgenommen mutmaßlichen deutsch-russischen Saboteure. Ein derartiges demografisches Potenzial wird im Blick gehalten werden müssen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Wenn man außerdem alle unter Generalverdacht stellen würde, wären wir beim Unrechts- und Überwachungsstaat.

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Ob Russland oder China, immer wieder geht es um Verbindungen zur AfD. Wie erklären Sie das?

Die Ausgangsfrage für einen Nachrichtendienst ist: Welches Ziel wollen wir erreichen? Geht es um die Beschaffung von geheimen Informationen? Oder um politische Beeinflussung? Dann sucht man sich die Personen und Gruppen, die Ansatzpunkte für eine nachrichtendienstliche Ansprache bieten. Für Russland und China sind die AfD oder einzelne ihrer Vertreter offenbar interessant, weil sie erklärtermaßen die bestehende demokratische Ordnung in Deutschland infrage stellen. Diese offen zur Schau gestellte geringere Loyalität zum politischen System in Deutschland dürfte die AfD und ihre Vertreter für gegnerische ausländische Dienste relevant machen.

Eine ideologische Nähe spielt keine Rolle?

Nein. Früher hieß es immer „Kommunisten unterstützen Kommunisten“. Das stimmte auch damals nur bedingt. Wenn es der eigenen Sache dient, sind weder Russland noch China wählerisch. Bei nachrichtendienstlichen Operationen gilt: Hauptsache, das Ergebnis stimmt.

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